Die erste Hakenkreuzfahne in Krakau

Komödie um einen polnischen Kommissar – aus „Erlebtes Generalgouvernement“ , 1942 B.H.Hirche

Auch die Hissung der ersten Hakenkreuzfahne in Krakau hat ihre Geschichte. Ein Volksdeutscher erzählte sie einmal in stiller Stunde. Der Mann will nicht genannt sein. Dafür war er dem berüchtigten Wojewoden Graczynski (eigentlich Grażyński) umso bekannter. Ja, ein deutscher Dorn im polnischen Auge. Dieser Volksdeutsche leitete in einer kleinen Stadt im Bielitzer Land die Filialfabrik eines sudetendeutschen Unternehmens. Er war ein tüchtiger Kerl, der vor allem auch das Herz auf dem rechten Flecke hatte — das deutsche Herz. Das aber schlagt nicht im Verborgenen! Auch dem Wojewoden war langst bekannt, das sich dieser deutsche Direktor in einem deutschen Gesang- und Volksbildungsverein — solche harmlosen Worte konnten ihn immer aufs neue aus dem nationalen Hauschen bringen — mit Gleichgestimmten und gesinnten traf. Da soll doch ein Donnerwetter dreinschlagen! Die Faust zerknüllt wohlsortierte und grell rot angekreuzte Zeitungsausschnitte.

Hier stand es schwarz auf weiß… die polnische Volksseele des Bielitzer Landes kochte. Sie verlangte die Entfernung dieses gefährlichen Deutschen. Graczynski wischt barsch mit der plumpen Faust über den Schreibtisch. Die Geste wird von seinem geduckten Gegenüber zynisch lächelnd zur Kenntnis genommen; immerhin kann sich der gehorsame Diener seines grausamen Herrn den gehässigen Hinweis nicht verkneifen, das das Unternehmen denn berechtigten Beseitigungsforderungen polnischer Amtlichkeit gegenüber auffallend schwerhörig bleibe.

Der Wojewode lauft rot an. Er prustet und plustert sich und poltert schließlich los: „War ja noch schöner…!“ Er setzt kurzerhand zur Leitung des Zweig-Unternehmens im Bielitzer Land einen seiner polnischen Beamten als Kommissar ein. Väterchen Kommissar aber hatte von Tuten und Blasen keine Ahnung und mit dem Verstand schien es auch nicht allzu weit her zu sein, denn nach Ablauf der amtlich genehmigten Übergangszeit, wahrend der dieses Talglicht von Kommissar von dem deutschen Direktor noch einzuarbeiten war, hatte der Graczynski-Gunstling das dunkle Empfinden, doch noch nicht ganz im Bilde zu sein. Er bat seinen gestrengen Chef inständig, ihm den deutschen Lehrherrn noch einige Monate zu belassen. Der Wojewode kannte wohl seine Pappenheimer. Er verlängerte, wenn auch knurrend, notgedrungen die Aufenthaltsbewilligung vom 31. Mai bis Ende Juni. Erst im August konnte der deutsche Direktor den begabten Kommissar und damit den Betrieb seinem Schicksal überlassen. Die Firma hielt jedoch trotz Graczynski oder auch Graczynski zum Trotz zu dem Volksdeutschen und wies ihm ein neues Aufgabengebiet in Krakau zu. Dieser Arbeitsbeginn fiel in jene unruhvollen Tage, da polnischer politischer Größenwahnsinn bereits in die Strohpuppen schoß. Das war die schlimmste Zeit für alle Deutschen im Osten. So erhielt auch unser Volksdeutscher postwendend die Aufforderung, sich dem polnischen Militär zu stellen. Alle Männer bis zu 45 Jahren wurden erfaßt.

„Ich konnte das einfach nicht!“ erzählt er uns später und habe mich der Gestellung entzogen. Ich fuhr am 30. August noch einmal geschäftlich in das Bielitzer Land. An ein Bleiben war nicht zu denken. Die Verhetzung gegen alles Deutsche hatte einen Siedegrad erreicht, der das Schlimmste befürchten lies. Nun saß ich erst recht in der Klemme! Die Zuge verkehrten bereits außerhalb jeglicher normalen Fahrplanregelung. Da sich jedoch eine andere Fahrmöglichkeit nicht mehr ergab, blieb mir nichts anderes übrig, als mein Gluck nochmals mit der Bahn zu versuchen. Ich dampfte dorthin, wo sie mich nach dem Auskratzen wohl am wenigsten vermuten wurden — nach Hause.

Auf Umwegen und mit großen Verspätungen — die mir keineswegs unwillkommen waren — traf ich schließlich wieder in Krakau ein. Das war frühmorgens am Sonntag, den 3. September 1939. Wie ein Verbrecher mußte ich mich verstohlen in meine Wohnung schleichen. Meine Frau last mich ebenso heimlich ein und flüstert entsetzt: „Um Gottes-willen! Hier kannst du nicht bleiben. Sie haben doch schon gesucht nach dir!“ Wo sollte ich hin ? Die Wohnung konnte kein Dauerversteck abgeben; auf die heller werdende Straße zurückzueilen, war ebenso unmöglich… Ich schlich mich in den Keller und baute mir hinter einigen Fässern ein Versteck.

Hier hockte ich in den nächsten Tagen und Nächten, auf alles gefaßt. Die Pistole lag griffbereit. Hatten sie mich entdeckt und waren sie auf mich eingedrungen, ich wurde sie niedergeschossen haben, denn für mich ging dann so oder so die Rechnung dieses Lebens auf. So blieb es tagelang Nacht um mich. Es waren die schwärzesten Nächte meines Lebens! Wie langsam die Zeit verstreichen kann, wenn man in der Ungewißheit des Lebens oder des Todes steht!

Nach der Nacht zum 6. September wurde ich von meiner Frau aufgeregt, zitternd vor Freude, in das Morgengrauen eines neu-geschenkten Lebens gerufen. Die treusorgenden Hände rissen mich ungestüm die Treppen hoch. Der kommende Tag blendete mir in die nacht- gewohnten Augen. Plötzlich erfaßten sie mit gestochener Klarheit feldgraue Gestalten. Deutsche Soldaten! Ihre Umrisse verschwammen für Sekunden wieder. Dann aber konnte mich meine Frau nur mit Muhe davor zurückhalten, das ich nicht schreiend auf die Straße stürzte, vor Freude und Gluck schreiend. Noch an diesem Tage griff ich in mein verborgenstes Versteck. Die zitternden Hände entrollten eine Hakenkreuzfahne. Sie befestigten sie am Balkon und ich stand darüber — den Blick über die schmutzigen, winkligen Dächer hinweg in einen lichtvollen Himmel gerichtet.

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